Gesellschafts-politische Meinung aus dem Vorstand der DuVG
NICHT MECKERN – MITMISCHEN!
Von Joachim Brockpähler (Dresden) Bundesvorstandsmitglied
Eine glückliche Zukunft gewinnen wir nur, wenn wir aus der Geschichte lernen, wenn wir uns neu um den Frieden in Europa bemühen und wenn wir im Geiste unseres demokratischen Rechtsstaates das Miteinander mit unseren Mitmenschen suchen, egal wo sie herkommen. In Deutschland stoßen wir bei diesem Bemühen bei diversen Problemgruppen an Grenzen: bei Ewiggestrigen (wie „Reichsbürgern“), bei gewaltsuchenden Hooligans, korrupten arabischen Clans und sonstigen ideologisch Verwirrten und Entwurzelten, die unserem Rechtsstaat entrückt sind und uns außerhalb jeder wissenschaftlichen Rationalität zuweilen mit „alternativen Fakten“ manipulieren wollen. Für diese Problemgruppen sind eher Polizei, Staatsanwälte, Verfassungsschützer, Kriminalisten, Gerichte, Psychologen und / oder Psychiater zuständig. Diese zuständigen Kräfte gilt es, robust und adäquat einzusetzen. Denn wir haben erkannt, dass sich das Tolerieren gefährlicher Parallelwelten rächt.
Im Bemühen um null Toleranz gegenüber Staatsfeinden sind wir leider noch weit entfernt von einer guten Strategie für mehr Wir-Gefühl in unserer Gesellschaft. Denn neben den aufgezählten Extremisten gibt es sehr viele normale Menschen, die einfach orientierungslos sind, die den Glauben an „die da oben“ verloren haben, die sich abgehängt fühlen, Wendeverlierer, nicht mitgenommene DDR-Nostalgiker, demotivierte Sozialhilfeempfänger etc. Es fehlt an ehrlichen und engagierten Analytikern, Erklärern und Wegweisern, die mit politischem Verantwortungsbewusstsein die Herzen der Menschen erreichen und die es vermögen, tragfähige Brücken für neue Begegnungen und neue Hoffnungsperspektiven zu bauen.
Schauen wir auf jemanden zurück, der in diesem Sinne beeindruckende Spuren hinterlassen hat: Martin Luther King. Warum wird dessen berühmte Rede „I have a dream“ von vielen freiheitsbewussten Menschen noch immer als berühmteste und bewegendste Rede aller Zeiten empfunden? King hat es am 28. August 1963 in Washington vermocht, die Massen in den Bann zu ziehen. Mit intuitiver Abweichung vom Manuskript erzielte er eine faszinierende Wirkung: Mit Pathos und Wortgewalt traf er den Nerv aller Menschen, die sich nach Frieden in Freiheit sehnten. Kings Charisma fand seinen Resonanzboden in einer frustrierten und aufgebrachten Gesellschaft, der es unbegreiflich war, dass der Gleichheitsgrundsatz der amerikanischen Verfassung von 1788 noch immer nicht der gesellschaftlichen Realität entsprach.
Unterschiedliche Hautfarben und Sozialisationen, Flüchtlingsströme, Chancenungerechtigkeiten und das Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich fordern die US-amerikanische Gesellschaft heute ähnlich wie die Staaten Europas heraus. Die über die Jahrzehnte gewachsene kulturelle Heterogenität der EU-Gesellschaften und die hinzukommenden Flüchtlingsströme der letzten Jahre haben viele Menschen arg gefordert. Verstärkend wirken zudem der Krieg in der Ukraine und das Zerwürfnis mit Russland. Die Folge: Nebulöse Rufe nach einer Rettung abendländischer Kultur und dramatische Disharmonien überforderter Menschen, denen nicht erklärt wird, wohin die Reise geht. Das Ganze geht einher mit den negativen Folgen unserer kommerzialisierten und digitalisierten Gesellschaft. Rufe nach althergebrachter Kulturpflege provozieren die Frage, ob diese Sehnsüchte überhaupt noch mit authentischen Identitäten korrespondieren, die man zum Maßstab neuen politischen Handelns erheben könnte. Die Verluste althergebrachter Kultur (z.B. Festkultur und das Beherrschen von Instrumenten) darf man bedauern. Aber diese Verluste erfolgten auf dem Altar unserer eigenen Gewohnheiten, die sich im digitalen Zeitalter gewandelt haben. Dabei wäre Kulturpflege absolut kompatibel zur Fortentwicklung moderner Gesellschaften in der EU.
Wir müssen uns bewusst machen, dass Flüchtlinge zumeist starke kulturelle Bindungen an ihre Heimatländer mitbringen. Das führt schnell zu Nischenkulturen – so wie sich Deutsche im Ausland auch gerne unter ihresgleichen ansiedeln. Dies kann gut gehen. Aber es kann auch Probleme heraufbeschwören, wenn Gäste dauerhaft isoliert von ihren Gastgebern leben. Das Kennenlern-System darf keine Einbahnstraße sein. Flüchtlinge müssten von den Einheimischen auch eingeladen werden. Nur durch solche Begegnungen können sie unsere eigene Kultur verstehen lernen. Das findet viel zu wenig statt, zumal viele Deutsche ihre kulturelle Identität kaum noch zu definieren wissen. Umso wichtiger wäre es, verlorengegangene Traditionen wiederzubeleben und neue Formate zu erfinden, die Menschen zusammenführen können.
Die allerorten stehende Aufgabe der Politik, den fragil gewordenen sozialen Frieden zu stabilisieren, wurde in den letzten Jahren viel diskutiert. Zwar ist einiges geschehen, aber dies wird von den Menschen kaum wahrgenommen. In Verkennung der latent und emotional eskalierenden Problemlage wird zuweilen auf vorhandene Zuständigkeiten und Förderprogramme verwiesen. Die Atomisierung der Zuständigkeiten lässt jedoch den Elan vermissen, den man sich wünscht. Da gibt es Ministerpräsidenten, Innenminister, Integrationsminister, Kultusminister, Minister, die speziell für Politische Bildung, für wissenschaftliche Bildungsarbeit, für gesunde Arbeitswelten und manches andere da sind, was mit unserem Thema zu tun hat. Aber niemand formt daraus eine in sich konsistente Gesamtstrategie. Natürlich kann man WIR-Gefühl nicht von oben verordnen. Natürlich ist Gemeinsamkeit nicht exekutiv produzierbar. Uns fehlen vor allem Menschen, die mit der Emotionalität ihres Wortes Menschen zu integrieren vermögen – so wie einst Martin Luther King. Regierungschefs sind zudem gut beraten, wenn sie bei sich oder in einem federführenden Ressort koordinierende Instanzen schaffen, die für eine neue ressortübergreifende Kommunikationskultur eintreten. Mit dieser gilt es Sorge dafür zu tragen, dass die Menschen im Land endlich wieder das empfinden, was sie ersehnen: GEBORGENHEIT in einem Land, das die Sorgen der Menschen ernst nimmt, das kompetente Antworten auf drängende Fragen liefert und so gute Lebensperspektiven in Aussicht stellt.
Soweit Politiker erkennen lassen, dass sie sich im Hinblick auf nächste Wahlen bereits parteipolitischen Profilneurosen hingeben, haben sie ihr Verantwortungsbewusstsein verwirkt. Es wäre ein großer Trugschluss, anzunehmen, dass es Wichtigeres gibt als die hier beschriebenen Aufgaben für mehr WIR-Gefühl. Die Verantwortlichen sollten in dem sie zuweilen erstickenden Tagesgeschäft erkennen, was die Stunde geschlagen hat.
Die Gespenster, die heute in Europa herumgeistern lauten: Desinteresse, Inkompetenz, Kommerzialisierung, Digitalisierungsmissbrauch, Populismus, Reizüberflutung, Zuständigkeitswirrwarr und moralischer Verfall – ein übles Konglomerat negativer Wirkkräfte. Probleme verstärken sich und führen zu einem allgemeinen Tugendverfall. Statt Dankbarkeit und Achtsamkeit erleben wir vielerorts Verrohung und Vandalismus. Folgen einer misslungenen Bildungs- und Integrationspolitik. Dagegen muss sich die Mehrheit der Vernünftigen endlich auflehnen. Es bedarf einer wirksameren Beteiligung der Menschen. Frischer Wind im politischen Getriebe soll zu höheren Wahlbeteiligungen führen. Die Wählerschaft muss ihre eigene Verantwortung erkennen, getreu der Devise des einstigen Schweizer Ökonomen Gottlieb Duttweiler: „Freiwilligkeit ist der Preis der Freiheit.“ Wir brauchen keine Menschen, die nur meckern, aber selbst politisch apathisch sind. Wir brauchen Frischblut in Form leidenschaftlicher Demokraten, die von der Basis her aufbrechen, unser Land stabiler und erfolgreicher zu machen. Diejenigen, die sich dazu entschließen, sollen mittels einer kreativen Streitkultur als kompetente Einmischer, Anpacker, Mutmacher und Gestalter erkennbar und wählbar werden. Eine solche Bewegung muss auch in die vorhandenen Parteien hineinwirken. Diese werden sich über neue Mitstreiter freuen.
Menschen Europas: Entzündet viele Flammen der Freiheit für Europa, mit guten Reden, mit engagierter Bildungsprogrammarbeit, mit Überzeugungsarbeit auf allen Ebenen, guter Koordination und basisorientierter Vernetzung. Dann werden nicht Autokraten und Diktatoren diese Welt entern. Die Zukunft soll den fröhlichen Demokraten gehören, die aus der Geschichte gelernt haben. Der Siegeszug der Aufklärung soll mit viel Verantwortungsbewusstsein für unsere EINE WELT friedlich und machtvoll fortgesetzt werden.
Joachim Brockpähler, geboren 1962 in Windhuk / Namibia, hat Politikwissenschaft, Geographie und Geschichte studiert. Er lebt und arbeitet seit 32 Jahren in Dresden und engagiert sich als parteiloser Brückenbauer, u.a. im Bündnis Interreligiöses Deutschland (BIRD e.V.). Beruflich prägten ihn Stationen in der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion, in Sachsen in der Staatskanzlei, dem Umwelt- und dem Innenministerium sowie der Landesdirektion Sachsen. Sein Beitrag erschien in ähnlicher Form zuerst bei Tabula Rasa. In dieser gekürzten Fassung ist er am 12.01.2023 in der Sächsischen Zeitung und am 23.03.2023 im Westfalenblatt erschienen.